Markus Rühl verstand auf der Fibo 2015 die Welt nicht mehr. Rühl, das „Biest“, ein deutsches Urgestein des Bodybuilding, das ca. 2012 nach rund 20 Jahren Training und rund 70 Wettkämpfen seine Sportlerkarriere beendet hatte, musste auf der großen Kraftsportmesse staunen: „Wenn du hier zwei zusammen siehst, die für ein Foto posieren, fragste dich doch, wer der Fan und wer der Star ist.“ Die junge Generation interessiere sich nur noch für „Stars“, die statt für Mr. Olympia zu trainieren, Videos hochladen. Das reicht heute, um die Massen anzulocken.
Die Fitness-Youtuber. Die wahrscheinlich tatsächlich in den letzten Jahren dafür gesorgt haben, dass die aus der Altersklasse 15 bis 25 rund 20 bis 30 Prozent mehr Jungs ins Fitness-Studio („Gym“ in der Youtuber-Sprache) rennen als früher. Mit dem Ziel, nach wenigen Wochen auszusehen, wie Jeff Seid. Bekanntester unter ihnen ist wohl Karl Ess, der seinen Zuschauern im Schnitt fünfmal die Woche erzählt, dass er einen Ferrari fährt – das zieht ein immer größeres Publikum an.
Was das mit Fitness zu tun hat? Es geht um den „Lifestyle“. Ess ist Mitte Zwanzig, eigenen Angaben zufolge Deutsch-Amerikaner, studierte auf Wirtschaftsingenieur und war irgendwann pleite. 2012 fing er an Videos zu machen, in denen er – wohl nach dem Vorbild von Elliott Hulse – den Leuten Tipps geben will, wie man – er spricht wohl wirklich in erster Linie Jungs an – erfolgreich werden kann, und zwar „im Bereich Fitness, im Bereich Business, im Bereich Frauen“. Und das geht am besten mit veganer Ernährung und dem richtigen Training.
Ess hatte dafür zu nächst einen damals 18jähriges Model parat – sozusagen die deutsche Version von Jeff Seid: Der Stuttgarter Tim Gabel, ein gut aussehender Schüler, der für sein Alter schon ganz schön was an Muckis zu bieten hat. Trotz der eigenen mäßig vorhandenen Muskelmasse ist Ess selbst einfach zu häßlich, um die Jugendlichen anzulocken. Dazu kam noch ein weiterer „Youtube-Star“, Nico Lazarides, der sich für einen „Comedian“ hält und sich „Inscope21“ nennt, früher Videos in Sachen „Gaming“ machte und nun auch ein bißchen Fitness probieren wollte.
Inzwischen haben sich Gabel und Inscope von Ess getrennt: wegen dubioser Geschäftsmethoden von Ess. Der hat sich inzwischen eine große Fitness-Welt aufgebaut und macht 800.000 Euro Umsatz im Monat. Dafür hält er auch gerne mal zu Beginn seiner Videos seine Autoschlüssel in die Kamera, um den Zuschauern dann gleich eine Lektion in Sachen Sozialneid zu erteilen: „Klar kaufe ich mir ne Rolex. Und soll ich euch sagen warum? Soll ichs euch wirklich sagen?? Weil sie sich ein anderer nicht kaufen kann.“ Er betreibt „Network Marketing“ mit Vemma, verkloppt seine aus dem Netz zusammengestellten Trainings- und Ernährungspläne als „360-Grad-Paket“ für 150 Euro und ist Teilhaber an der Stuttgarter Klamottenmarke GA-Gym Aesthetics. „Jeder weiß, wie ich mein Geld verdiene. Ich bin der Ehrlichste.“ Seine Videos laufen alle nach dem selben Schema ab: Er schreit ein paar mal „Iööööhhhh“ in die Kamera, sagt ein paar mal was über seinen Ferrari verabschiedet sich mit „haltet euch fit“. Obwohl er noch nie auf der Bühne stand und auch nie stehen wird, weil er sportlich rein gar nichts reißt, hat er unzählige Nachahmer gefunden.
Mittlerweile wimmelt es nur so von „Fitness-Youtubern“, die sich den Leuten ihre tägliche Soap bieten: sich in die Küche stellen dort ihren Reis kochen, über ihr Ernährungstagebuch sprechen, ein „Scoop“ Whey Protein in die Milch mixen und über ihre Fortschritte beim Negativ-Bankdrücken plaudern. Und sich immer wieder gerne nackig vor die Kamera stellen, denn „Posing-Updates gehören einfach zum Sport“.
Der Rentner Rühl ist inzwischen selbst unter die Youtuber gegangen, wobei er sich nicht nur in seiner Ausdrucksweise angenehm von Ess und Konsorten unterscheidet. Der Mann weiß schlicht, wovon er spricht.
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